Der Hipster vor, in und nach der Geschichte
Sören Arne Brentano: Der Hipster vor, in und nach der Geschichte [Auszug]
[...] Wenn der Hipster morgens gegen halb 12 aus seinem ‚voll abgefahrenen‘ Traum herauftaucht, so ist der erste Gedanke, der ihn ereilt der, wie individuell er doch sei, da er sein eigen Bett von IKEA habe, hierauf bleibt er ruhig liegen, es scheint ihm wohl zu spießig so früh am Morgen aufzustehen, und dem anpochenden Bringer der NEON ruft er zu, er solle sie auf seine Türmatte mit einem pseudo-intelligenten Spruch darauf ablegen, denn er hätte noch ‚einen derben Hangover‘ von der Party im Szenelokal gestern Nacht und könne, ohne spießig zu sein, nicht aufstehn; sodann denkt er daran, die Welt zu verbessern, ein ‚bisschen Revoluzzer zu sein‘, wie er es nennt, und weil er fest überzeugt ist, daß Club-Mate etwas sehr Heilkräftiges sei, so bestreicht er sich die Augen damit, oder der Frau Hipsterin, oder seinen kleinen Hipstern, oder seinem wachsamen Hund, oder niemand.
Seine große schwarze Hornbrille, zu welchen diese Ungeheuer große Liebe tragen, sitzt unverrückt, denn ein Hipster ist auch im Schlaf modebewusst. Wenn er aufgestanden, so wechselt er das stylische Holzfäller-Hemd, das ihn bereits von weiten erkennbar macht, und bindet sich sogleich trotz des andauernden Sommers seinen Schal lose um; darauf hält er seinen Kindern eine Abhandlung vom Hipstertum und sagt, wenn er sie zur Montessori-Schule in Berlin-Kreuzberg geschickt, wo er sein zu Hause zumeist in linksalternatven Wohnprojekten hat, zu seiner Frau: Man muß den äußern Schein beobachten, das erhält einem den Kredit, sie werden früh genug ‚total alternativ und so‘ werden.
Sodann trinkt er Kaffee, wozu er die höchste Leidenschaft hat, oder welches er übertrieben affektiert haßt; im ganzen ist der Kaffee den Hipstern unendlich lieb, sie äußern sehr gern, sie wüssten nicht was sie ohne ihn anstellen sollten, und sie könnten bei Schlürfen des Heißgetränkes, das unbedingt und unerlässlich zu fairen Bedingungen gehandelt sein muss, Betrachtungen über die Modewelt außerhalb des Mainstreams anstellen, so hängt der Kaffee eng mit ihrer Hipster-Philosophie zusammen; auch besitzt er gewiß irgendeine Kaffeetasse mit einem Motiv, das vorgeblich sein Wesen ausdrücken soll und in den meisten Fällen ein Werk von Banksy beinhaltet.
Übrigens wenngleich mancher Öko-Kaffee trinkt, ohne darum ein Hipster zu sein, so kann man es doch nur in einer Zeit gelernt haben, in der man ideenlos, verkehrt und ein Hipster gewesen, und die lebendigsten, tüchtigsten, reinsten und seelenvollsten Menschen, die ich gekannt, waren nie auf den überteuerten Kaffee aus dem Dritte-Welt-Laden gekommen. Zweifelsohne checkt der Hipster nun auch seine Mails von seinem Macbook aus und schreibt den ersten Post bei Facebook; trinkt er Kaffee, so spricht er von der neuen Indie-Band, welche er erst vor Kurzem entdeckt, nennt seinen aufgeschäumten Kaffee auch wohl Frappucino; sehr kränkend würde es ihm sein, wenn die Frau ihm nicht ein halbdutzendmal sagte: Trinke doch Kaffee bei Starbucks; wenn er aber im Starbucks seinen Kaffee erstehen würde, so ist es ihm nicht individuell genug, obwohl er dort die meiste Zeit des Tages verbracht, um für sein neues Startup Connections zu knüpfen! [...]
Sie glauben, mit der Welt sei es eigentlich aus, weil es mit ihnen nie angegangen. Sie halten sich für etwas Apartes und können die Augenbraue bis unter die Haare ziehen, sofern sie denn nicht eine Glatze geschoren, die ihre feindselige Einstellung zum Mainstream verdeutlichen soll. Sie belächeln alles von oben herab, bedauren, daß wir keine Regisseure von Indie-Filmen sind, und gratulieren sich einander, in einer Zeit geboren zu sein, worin so vortrefflich alternative Leute wie sie leben. [...]
Clemens Brentano hat mal was ähnliches in seinem Blog geschrieben.